Ein Artikel von Dr. Ingo Bertram, ARD-Wetterredaktion, 1. April 2016
Sonnenauf- und Untergänge sind etwas im wahrsten Sinne des Wortes Alltägliches. Trotzdem können sie sehr unterschiedlich ablaufen, mal völlig unspektakulär hinter Wolken, mal mit intensiven Rot- und Gelbtönen. Doch welche Besonderheiten gibt es außerdem noch?
Die Farbe des Himmels wird im Wesentlichen durch die Streuung des Sonnenlichts bestimmt. Unter Streuung versteht man den Effekt, dass die Sonnenstrahlen aus ihrer ursprünglichen Einfallsrichtung abgelenkt werden. Wenn diese an den Luftmolekülen stattfindet, welche klein gegenüber der Wellenlänge des Sonnenlichts sind, spricht man von der „Rayleighstreuung“. Ihre Besonderheit ist die, dass unterschiedliche Wellenlängen unterschiedlich stark gestreut werden. Von den sichtbaren Farben wird das blaue Licht am stärksten gestreut. Es erreicht den Beobachter daher als allen möglichen Richtungen und der Himmel erscheint blau. Je tiefer die Sonne steht, desto länger war der Weg ihrer Strahlen durch die Atmosphäre und desto weniger Blau befindet sich noch im direkten Sonnenlicht. Deshalb erscheint die Sonne umso röter, je tiefer sie steht.
Aber auch die Streuung an den Staubteilchen in der Luft spielt eine Rolle. Bei sehr klarer Luft ist die Sonne selbst beim Sonnenuntergang noch so hell, dass man bis zuletzt kaum hineinschauen kann. Bei stärkerer Trübung ist die Sonne beim Untergang weniger grell. Dann erscheinen nicht nur die von der Sonne angestrahlten Gegenstände im Abendlicht rot, sondern auch die Sonnenscheibe selbst. Mitunter ist aber soviel Staub in der Luft, dass die Sonne bereits im Dunst verschwindet, ehe sie den Horizont erreicht hat. In diesem Fall bleibt auch das rote Farbenspiel aus.
Aber nicht nur die Sonne kann sich beim Auf- oder Untergang in leuchtendem Rot präsentieren. Auch Wolken können ihren Beitrag leisten, sofern sie sich an der richtigen Stelle befinden. Die günstigste Situation ist gegeben, wenn der Horizont wolkenfrei ist, sich zugleich aber Wolken in der Nähe des Beobachters befinden. Dann werden diese von unten her rot angestrahlt. Bei besonders prächtigen Sonnenauf- oder Untergängen erscheinen nacheinander erst tiefe, dann mittelhohe und zuletzt hohe Wolken in Rot- und Gelbtönen. Morgens ergibt sich eine entsprechende Situation, wenn ein Tiefausläufer aus Westen heranzieht und der Osthorizont noch wolkenfrei ist. Ein solches Morgenrot ist dann ein Schlechtwetterbot. Abends hingegen bedeutet ein wolkenfreier Westhorizont und rot ausgeleuchtete Wolken über dem Beobachter meistens eine Wetterbesserung.
Beim Übergang vom Weltraum in die Atmosphäre wird das Licht gebrochen, die Sonnenstrahlen werden also etwas in Richtung Erdboden verkrümmt. Dieser Effekt ist umso stärker, je flacher die Sonnenstrahlen in die Atmosphäre eindringen. Dem Beobachter erscheint die Sonne im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Position etwas angehoben. Daher sieht man sie noch eine gewisse Zeit lang, auch wenn sie sich in Wirklichkeit schon etwas unter dem Horizont befindet. Der tiefer stehende Unterrand wird stärker gehoben als der Oberrand. Eine untergehende Sonne ist daher nicht rund, sondern oval, in die Breite gezogen.
Als Sonnenuntergang ist der Augenblick definiert, in dem der Sonnenoberrand unter dem Horizont verschwindet. Tatsächlich befindet sich der Sonnenmittelpunkt dann schon 0,75 Grad unter dem Horizont. Die Sonne wird beim Untergang durch die Brechung um ein halbes Grad angehoben. Ein Viertel Grad ist die Distanz zwischen Sonnenmittelpunkt und Sonnenrand.
Auch die Brechung ist abhängig von der Wellenlänge. Kürzere Wellenlängen werden stärker angehoben als die längeren. Daher sind die letzten Lichtstrahlen, die man von der untergehenden Sonne sieht, grün (das noch kurzwelligere Blau ist heraus gestreut). Man nennt diesen Effekt den „grünen Strahl“, der allerdings meist nur mit optischen Hilfsmitteln und auch nur unter günstigen Bedingungen länger als eine Sekunde lang zu sehen ist.
Die Länge eines Sonnenuntergangs hängt von der geografischen Breite ab. Während die Sonne am Äquator senkrecht nach unten und daher sehr schnell versinkt, wandert sie am Pol parallel zum Horizont. Dort dauert ein Sonnenuntergang einige Tage, dafür findet er aber nur einmal im Jahr statt. Wenn die Sonne 12 Grad unter dem Horizont steht, ist es für den „Normalbürger“ dunkel. Vorher spricht man von der nautischen Dämmerung. Sie dauert in Deutschland etwa 1h 30min, am Äquator 45min und am Pol einen Monat.
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Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Dr. Ingo Bertram
Ich habe im Netz das Video eines Sonnenuntergangs gesehen. Zu sehen ist die untergehende Sonne, als rote Scheibe, davor ein schmales dunkles Wolkenband und auch hinter der Sonnenscheibe ein schmales dunkles Wolkenband. Es sieht aus, als ob die Sonne hinter dem vorderen und vor dem hinteren Wolkenband vorbei untergeht. Wie ist es möglich, dass hinter der Sonne ein Wolkenband zu sehen ist? Mir ist klar, dass das hinter der Sonne sichtbare Wolkenband hell sein müsste, wäre es tatsächlich dahinter, aber wieso ist es überhaupt zu sehen. Würde mich über eine Antwort sehr freuen. Liebe Grüße